Chancen geben und Potenzial erkennen

Viele Hände halten sich

Behindert sein heißt immer noch oft, behindert werden- besonders am Arbeitsmarkt. Warum Menschen mit Behinderung keine Belastung, sondern vielmehr eine Bereicherung für ein Unternehmen sind. (Story: Katharina Hämmerle)

Oft sind es nur die Hindernisse, die Unternehmen bei Bewerbern mit Behinderung sehen. Michael Sicher, Initiator des Mentoringprogrammes CEOs onWheels und roomchooser will an diesem
Denken etwas ändern: „Es müssen Begegnungen zwischen Unternehmer_innen und Menschen mit Behinderung geschaffen werden.“ Leider gehe es aber meist nur um die wahrgenommenen Hürden. Das ändere sich aber sehr rasch, wenn offene und unverbindliche Begegnung stattfinde.

Besonderer Kündigungsschutz

Michael Sicher spricht nicht nur aus professioneller, sondern auch aus persönlicher Erfahrung. Er selbst sitzt im Rollstuhl. Ob ihm sein Handicap in seiner beruflichen Laufbahn im Weg stand? „Darüber könnte ich wohl ein eigenes Buch schreiben“, lacht er. Der Kündigungsschutz sei immer eine praktische Ausrede für Unternehmen gewesen. Der Kompromiss war dann oft ein freier Dienstvertrag. Eine Fixanstellung hatte Sicher bisher nur einmal, zwei Jahre lang. Dabei beginnt der Kündigungsschutz für begünstigte behinderte Menschen erst nach vier Jahren zu greifen, erklärt Christine Meierschitz, Zuständige für nationales Recht und Sozialpolitik beim Österreichischen Behindertenrat. „Bis dahin ist Zeit genug, um zu prüfen, ob man mit den Leistungen der Person einverstanden ist oder nicht.“ Zudem bestehe laut Meierschitz jederzeit die Möglichkeit der einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses und „natürlich gibt es die Möglichkeit, bei Entlassungsgründen die Dienstnehmer_in auch zu entlassen“.

Unerkanntes Potenzial

Michael Sicher vermutet jedoch, es handle sich um andere Ursachen. Unsicherheit zum Beispiel oder die Tatsache, sich erst gar nicht mit dem Thema auseinandersetzen zu wollen. Bereits früh musste er lernen, welchen Hindernissen man als Mensch im Rollstuhl bei der Jobsuche gegenübersteht: „Ich selbst habe schon in meiner Jugend erlebt, dass ich im Assessment Center der Beste war und trotzdem keinen Ferialjob bekommen habe – wegen meines Rollstuhls.“ Auch Ina Riedler aus Thal bei Graz hat damit bereits Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht: „Die Arbeitsplatzsuche war hoffnungslos, sogar im öffentlichen Dienst.“ Riedler ist spastisch gelähmt, seit ihrer Geburt ist sie auf ihren Rollstuhl angewiesen. Trotz ihrer Ausbildung zur Bürokauffrau war es auch für sie schwer, eine fixe Anstellung zu finden. Nach etlichen Bewerbungen und Absagen hat sie nicht die Hoffnung verloren, sondern das Ruder selbst in die Hand genommen und sich mit Ina’s Office selbstständig gemacht.

Mehrwert für jedes Unternehmen

Karin Praniess-Kastner, Präsidentin des Wiener Hilfswerks und Verantwortliche der österreichweiten Zero Project Unternehmensdialoge der Essl Foundation, setzt sich seit mehreren Jahren für Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung ein. Sie weiß, was für einen positiven Effekt die Einstellung von behinderten MitarbeiterInnen für Unternehmen haben kann: „Ein diverses Team bildet die Bevölkerung und oft auch die Kundenstruktur ab.“ Der Zusammenhalt und die Identifikation mit dem Unternehmen werden dadurch gefördert. Oftmals werden die Arbeitsabläufe angepasst und zum Teil vereinfacht, was allen MitarbeiterInnen zugutekomme.

Macht die Ausgleichstaxe Sinn?

Unternehmen sollen laut Michael Sicher Menschen mit Behinderung aus denselben Gründen einstellen wie andere MitarbeiterInnen auch: wegen ihrer Kompetenz und des Mehrwerts, den sie der Firma bringen. Er hält nichts von der Diskussion, die Ausgleichstaxe für Unternehmen zu erhöhen: „Als MitarbeiterIn mit Behinderung will ich wegen meiner Leistung geschätzt werden und nicht nur deshalb eingestellt werden, weil sich das Unternehmen dadurch ‚Strafzahlungen‘ erspart.“ Laut Behinderteneinstellungsgesetz sind alle Dienstgeber_innen in Österreich verpfl ichtet, auf je 25 DienstnehmerInnen einen Menschen mit Behinderung einzustellen. Wenn diese Pflicht nicht erfüllt wird, muss die Ausgleichstaxe gezahlt werden. Laut Praniess-Kastner ist das Behinderteneinstellungsgesetz dennoch wichtig. Es trage zur Bewusstseinsbildung bei, wo dieses (noch) nicht vorhanden sei. „Für Unternehmen, die die Ausgleichs taxe zahlen, kann die Vermeidung der Zahlung ein Motiv dafür sein, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und Menschen mit Behinderung anzustellen“, meint sie.

Wege finden, Chancen geben

Meierschitz hat beobachtet, dass Menschen mit Behinderungen nach wie vor als Menschen wahrgenommen werden, die weniger Leistung erbringen, öft er krank werden und Probleme bereiten. Zudem würden die Anforderungen an DienstnehmerInnen immer härter werden: „Schneller, besser, schöner und dauernd verfügbar – das ist die Devise und wer nicht mithalten kann, muss zurückbleiben.“ Gegen diese Tendenz habe sie leider keinen Lösungsansatz. Außer dass DienstgeberInnen bewusst Entschleunigungsprozesse andenken sollten. Sie sollten bereit sein, innovative Wege zu suchen und zu finden. Für die Zukunft wünscht sich Riedler, dass Menschen mit Einschränkungen irgendwann weniger Hindernisse in der Arbeitswelt haben und ihnen mehr Hilfestellungen sowie Erleichterungen angeboten werden: „Es wäre schön, wenn man uns die Chance geben würde, zu zeigen, was in uns steckt.“

 

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